Jürgen Kutsch: „Man muss einfach nur die Initiative ergreifen“

Foto: Andreas Schmitter

Realist und Optimist zugleich: Mit seinen Initiativen will Jürgen Kutsch die Schranken zwischen den Menschen abbauen.

Aachener Zeitung – Im Samstagsinterview: Jürgen Kutsch, Gründer der gleichnamigen Stiftung. Er glaubt an den christlichen Gott, die Menschen und nicht zuletzt an das Ostviertel

Jürgen Kutsch ist der klassische Fall von „ein Mensch wie du und ich“. Und darauf legt der Mann mit Wurzeln im Ostviertel auch Wert. Aber so ganz stimmt dieses Modell dann doch nicht, denn welcher Normalbürger kann schon sagen, dass eine Stiftung nach ihm benannt ist.

Es gibt die „Stiftung Jürgen Kutsch“ seit dem Jahr 2007. Ihr Namensgeber ist beruflich selbstständig im Lkw-Handel tätig. Doch im Gespräch mit ihm gewinnt man schnell den Eindruck, dass er im sozialen Bereich fast noch mehr in Bewegung setzt. Darüber spricht er im Interview.

Wie sind Sie auf die Idee einer eigenen Stiftung gekommen?

Kutsch: Da gibt es mehrere Erklärungen. Bei den Aachener Engeln konnte ich über einige Jahre das Einmaleins des Ehrenamtes lernen. Das hat einfach Spaß gemacht. Ich wollte aber irgendwann etwas Dauerhaftes machen, das auf die Unterstützung von Kindern zielt. Die Engel haben ja eine etwas andere Ausrichtung. Ich habe dann eine Stiftung gegründet, um diese Idee selbst noch über möglichst viele Jahre mit Leben zu füllen. Sie ist mein Hobby und gleichzeitig meine Leidenschaft. Hinzu kam noch so etwas wie ein spiritueller Ansatz.

Das müssen Sie erklären.

Kutsch: Ich bin im vergangenen Jahr 50 geworden und wieder in die Kirche eingetreten und gefirmt worden. Nach 19 Jahren. Als Kind hatte ich keine besondere Verbindung zur Kirche. Aber mit 40 Jahren hatte ich so etwas wie ein besonderes Erlebnis. Ich spazierte mit dem Hund an der Benediktinerabtei in Kornelimünster entlang – und hatte auf einmal das Gefühl, das mich jemand von oben angetippt und Hallo gesagt hat. Mein erster wirklicher Bezug zu Gott. Ich habe mich dann immer intensiver mit der frohen Botschaft beschäftigt, die mich in die Kirche zurückgeführt hat.

Welchen Bogen schlagen Sie da zu Ihrem Engagement?

Kutsch: Ich habe mein Fundament in der katholischen Soziallehre gefunden. Sie ist so etwas wie meine Basis in der Unternehmensphilosophie, in der Stiftung und im privaten Umgang. Als ich die Enzyklika „Deus caritas est – Gott ist Liebe“ von Papst Benedikt XVI. gelesen habe, stand bei mir der Entschluss zur Gründung einer Stiftung.

Wo liegen die inhaltlichen Schwerpunkte?

Kutsch: Wie bereits gesagt, geht es mir um die Unterstützung der Kinder. Die Stiftung unterstützt inzwischen 32 Kindergärten und –einrichtungen. Sie werden jede Woche mit frischem Obst und Gemüse beliefert. Damit erzielen wir gleich in mehrfacher Hinsicht positive Effekte.

Welche?

Kutsch: Wir beziehen die Sachen bei Gut Hebscheid, das von Via Integration betrieben wird. Hier finden auch Menschen mit einem Handicap eine Beschäftigung. So können wir Integration, Beschäftigung und Ökologie unterstützen. Hinzu kommt, dass die Kinder in die Zubereitung des Essens einbezogen werden. Sie erlangen beim Schnibbeln von Gemüse eine gewisse Fingerfertigkeit, die die Vorbereitung aufs Schreiben erleichtert, lernen dies aber vor allem über kulturelle Grenzen hinweg. Etwas weiteres kommt hinzu: Das Projekt trägt dazu bei, dass Manieren bei Tisch und rege Kommunikation über sprachliche und kulturelle Hürden hinweg gepflegt werden.

Gibt es einen räumlichen Schwerpunkt?

Kutsch: Angefangen haben wir im Ostviertel und dann die Kreise immer weiter gezogen. Einen Schwerpunkt oder Grenzen gibt es nicht. Die Hilfe muss aber finanzierbar sein. Dies funktioniert über Stiftungserträge und Spenden. Hier helfen die Lions-Clubs in Alsdorf und Würselen sehr. Natürlich freue ich mich über jeden neuen Spender. Über die Finanzierung der Organisation aus Rücklagen der Stiftung ist gewährleistet, dass die Spenden zu 100 Prozent bei den Kindern ankommen. Das ist Sinn der Sache: Wir wollen etwas Nachhaltiges schaffen.

Warum eine Stiftung und kein Hilfsverein?

Kutsch: Ich antworte mal etwas flapsig: In meiner Badewanne bin ich der Kapitän. Wenn ich etwas umsetzen will, dann geht das sehr schnell. Ich brauche keinen Vorstand, keinen Apparat und keine Beschlussgremien.

Das gilt auch für weitere Projekte.

Kutsch: Klar, zum Beispiel für die Parkgespräche. Die gibt es seit Januar 2014. Ausgangspunkt war ein Krisengespräch über die Verhältnisse im Kennedypark. Wir hatten uns zu einem zwanglosen Gespräch im Kennedy-grill verabredet, zu dem direkt 20 Leute kamen. Schon damals hatten wir eine tolle Atmosphäre – und daraus wurde die Idee der Parkgespräche geboren.

Was ist daraus geworden?

Kutsch: Daraus hat sich schnell eine schöne Veranstaltungsreihe entwickelt. Die Gespräche sollen dazu beitragen, die Lebensqualität zu erhöhen und auch die Menschen ins Ostviertel locken. Wir hatten mal eine Kunstausstellung in der Nadelfabrik, zwei Picknicks im Kennedypark, in dem wir im März einen Baum gepflanzt haben, einen Unternehmer-Treff in den Aachen Arkaden, ein Mädchen-Fußballturnier und jüngst einen Besuch in der Yunus Emre Moschee. Da waren 100 Gäste mit von der Partie.

Und das organisieren Sie im Alleingang?

Kutsch: Ich habe immer die Idee und suche mir dann Kooperationspartner, die die Insiderkenntnisse haben. Einige Dinge bilden so etwas wie den roten Faden. Am wichtigsten ist mir, dass die Veranstaltungen generations- und kulturübergreifend sind. Sie sind niedrigschwellig, damit niemand befürchten muss, nicht teilnehmen zu können. Und stets gibt es ein gemeinsames Essen. Es ist zu einem echten Erfolgsrezept geworden, die Leute bei Tisch zusammenzuführen. Ein gemeinsames Essen hat auch etwas mit Kultur zu tun, mit Respekt untereinander und mit gesittetem Benehmen. Das funktioniert einfach. Bisher sind noch immer bleibende Bekanntschaften daraus entstanden.

Wieso gerade der Kennedypark?

Kutsch: Weil hier meine Idee, eine dauerhafte Gesprächsreihe zu initiieren, auf fruchtbaren Boden fiel. Viele Menschen hier sind willens, das Viertel trotz der Negativschlagzeilen, die es gelegentlich produziert, attraktiv für seine Bewohner und alle Aachener zu machen.

Gibt es die Schlagzeilen zu Unrecht?

Kutsch: Das Ostviertel ist viel besser als sein Ruf. Ich bin hier geboren und in der Luisenstraße zur Schule gegangen. Wir sind dann später weggezogen, das Abitur habe ich aber trotzdem auf dem Geschwister-Scholl-Gymnasium gemacht. Auch wenn ich jetzt in Kornelimünster wohne, liegen mir das Ostviertel und der Kennedypark immer noch sehr am Herzen. Und ich will etwas für diesen Stadtteil und die Menschen, die hier leben, bewegen, denn er gehört zu Aachen.

Haben Sie einen missionarischen Gedanken? Vor allem angesichts offensichtlicher tiefer Religiosität?

Kutsch: Ich habe feste Grundwerte und vertrete meinen Glauben sehr offensiv. Was ist falsch daran? Aber ich maße mir doch nicht an zu missionieren. Ich denke aber, dass die Sozialkompetenz in unserer Gesellschaft sicher noch ausbaufähig ist. Diesbezüglich bin ich gerne Vorbild. Was ist schlecht daran? Es muss sich doch jeder selbst fragen: Was kann ich machen? Ich bin froh, dass ich immer neue Ideen habe und freue mich, dass ich auch andere zu etwas bewegen kann. Man kann etwas machen – man muss nur die Initiative ergreifen.

Ist die Jürgen Kusch Stiftung christlich?

Kutsch: Sie ist absolut konfessionsfrei und offen in alle Richtungen, obwohl ich zwischenzeitlich wieder in der katholischen Kirche bin! Bei unserem jüngsten Besuch in der Moschee war ein Mann dabei, der sich als Atheist vorstellte und dachte, er würde geschnitten. Der Mann hat sich absolut gewundert, wir locker die Muslime waren. Das ist bezeichnend. Es gibt eine einfache Regel: Die Orientierung aller muss am Grundgesetz erfolgen.

Quelle: Das Interview führte Hans-Peter Leisten, AZ, 17.10.2015