Ein Spaziergang veränderte alles

„Was Ratzinger über das Christentum schrieb, ist völlig eingängig und wunderschön.“

Mit Glauben hatte Jürgen Kutsch nie viel zu tun gehabt. „Gott, Jesus – das sagte mir nichts“, so der 52-Jährige heute. Mit 31 Jahren war der getaufte Katholik aus der Kirche ausgetreten, um die Kirchensteuer zu sparen. Seine Einstellung änderte sich schlagartig bei einem Herbstspaziergang.

Als es geschah, war Jürgen Kutsch an einem herbstlichen Tag wie immer mit seinem Hund unterwegs. Plötzlich fühlte er eine sanfte Berührung, so als ob ihn jemand von oben vorsichtig angetippt hätte. „In diesem Moment öffnete sich in meinem Leben eine neue Dimension, die ich vorher nie bemerkt hatte“, erzählt Kutsch. Von einem Augenblick auf den nächsten war ihm klar: „Gott ist da.“ Angst habe er nicht gehabt, denn die Erfahrung sei „sehr angenehm“ gewesen. Danach war für ihn nichts mehr wie vorher. Das Ereignis ließ den damals 40-Jährigen nicht los – und er begab sich auf die Suche nach Antworten auf die vielen Fragen, die auf einmal in ihm entstanden.

Doch wo anfangen? Kutsch war zwar katholisch getauft und zur Erstkommunion gegangen, aber der Kontakt zur Kirche war bald abgebrochen. „Gott, Jesus, Kirche – das sagte mir nichts“, berichtet er. Er habe auch „nichts dagegen“ gehabt. „Ich ließ den lieben Gott einfach einen guten Mann sein.“ Als Junggeselle hatten für ihn andere Dinge im Vordergrund gestanden: Bars, Clubs und Partys. „Die Kneipe war mein Wohnzimmer“, erzählt der Aachener. Unreflektiert sei er gewesen und „Mäßigung“ habe er „ähnlich wie der Kirchenvater Augustinus“ nicht gekannt.

Mit 31 trat er aus der Kirche aus

Beruflich war Kutsch erfolgreich, zunächst im Betrieb des Vaters, ab 1993 mit seinem eigenen Unternehmen. Er kaufte LKW in Deutschland und in den Nachbarländern und verkaufte sie in die ganze Welt. Das Geschäft florierte. Auch privat lief alles rund. Mit 31 Jahren heiratete Kutsch. Seine Frau brachte zwei Kinder mit in die Ehe und er brauchte mehr Geld. Kurz entschlossen trat der Familienvater aus der Kirche aus. „Ich wollte die Kirchensteuer sparen„, sagt er. Zweifel an der Entscheidung hatte er damals nicht – wie er auch sonst wenig Zweifel im Leben hatte: „Ich habe mein Dasein in vollen Zügen genossen, Schicksalsschläge gab es nicht.“

Fragen nach Gott waren für Kutsch völlig neu. Versuchsweise nahm er nach seinem Erlebnis auf dem Spaziergang die verstaubte Bibel aus dem Regal. Mit Jesus Sirach, der zu den Weisheitsbüchern gehört, begann er – und merkte: Er fand Antworten. In die Weisheitsliteratur komme man leichter hinein als in die anderen Bücher des Alten Testamentes, sagt Kutsch rückblickend. Und sie sei „nicht so mysterienhaft wie die Gleichnisse des Neues Testamentes“. Später war es aber vor allem das Johannesevangelium, das ihn faszinierte. „Die Ich-bin-Worte Jesu sind unglaublich berührend“, erzählt der heute 52-Jährige. Auch der Erste Johannesbrief mit seiner Aussage „Gott ist die Liebe“ begeisterte ihn.

Kutsch las immer mehr: den Katechismus, theologische Literatur. Schließlich wagte er sich an Werke von Papst Benedikt XVI., dem früheren Kardinal Joseph Ratzinger. „Mit spitzen Fingern“ habe er sich in der Buchhandlung eine Ausgabe von „Salz der Erde“ geholt. „Eine gewisse Abneigung“ habe er gegen den „Ultra-Konservativen“ gehabt. „Nun wollte ich wissen, was es mit dem ‚Panzer-Kardinal‘, wie ihn manche Kritiker nennen, auf sich hat“, erzählt Kutsch. Beim Lesen stellte er fest: „Was Ratzinger über das Christentum schrieb, ist völlig eingängig und wunderschön.“ Er müsse durch die mediale Berichterstattung beeinflusst gewesen sein, erklärt sich Kutsch heute seine skeptische Haltung von damals.

„Jesus ja, Kirche nein“

Die Werke Benedikts brachten den Suchenden zu Augustinus. In den Bekenntnissen des Kirchenvaters, in denen er seinen langen Weg zum Christentum schildert, erkannte Kutsch seine eigene Suche wieder. Irgendwann stand für ihn fest: „Jesus ja, Kirche nein.“ Zu groß war ihm die Auswahl an christlichen Gemeinschaften. „Ich hätte mich nicht auf eine festlegen können“, sagt er. Klar war für ihn: „Ich will mich in der Gesellschaft einbringen.“ 2007 gründete er deshalb eine Stiftung, die ökologische und soziale Projekte fördert. Das Motto: „Gott ist die Liebe“.

Trotz aller Vorbehalte begann Kutsch, regelmäßig zum Abendgebet in der nahe gelegenen Benediktinerabtei Kornelimünster zu gehen. Auch den Gottesdienst besuchte er, aber nicht am Sonntagmorgen. „Da habe ich Besseres zu tun“, dachte er sich damals. 2014 nahm der LKW-Händler Kontakt zum Bund katholischer Unternehmer auf. Er war ungeduldig und wollte gesellschaftlich mehr bewegen. Die Treffen gefielen ihm und er wollte beitreten. „Ich bin aber nicht katholisch“, gestand er den Mitgliedern. „Du bist sowas von katholisch“, erhielt er als Antwort. Das sah Kutsch als eine Bestätigung seines eingeschlagenen Weges – und er suchte das Gespräch mit einem Priester.

Bald war die Entscheidung gefallen: An seinem 50. Geburtstag würde er sich firmen lassen. „Ich war schon im Stillen ein Christ“, erzählt Kutsch. Nun habe er dies auch nach außen offiziell machen wollen. „Das war ein Reifungsprozess, in dem mir irgendwann klar war, dass ich den nächsten Schritt gehen muss.“ Etwas anderes hätte er als unvollendet empfunden. Doch nicht alle konnten seine Entscheidung nachvollziehen. „Der und Kirche“, spotteten einige, die ihn aus früheren Zeiten kannten.

„Ich wachse im Glauben und entwickle mich weiter – kennengelernt haben mich viele ganz anders“, erzählt Kutsch. Aber man habe sich nicht länger etwas vormachen können. Seine veränderte Lebenseinstellung vergleicht er mit jener von einem frühen Theologen des Christentums. „Vom Saulus zum Paulus“, sagt Kutsch über sich.

„Belanglose Sendungen“ im Fernsehen schaue er sich nicht mehr an. Stattdessen stünden Literatur und Lectio Divina auf dem Programm: Jeder Tag beginnt mit Schriftlesung und Meditation.

Es folgen ein Kapitel etwa des heiligen Franz von Sales, Vaterunser, Ave Maria und Schuldbekenntnis – „gerne eine Stunde, aber auch mal nur zehn Minuten“. Manchmal falle die morgendliche Lesung sehr schwer. „Da muss man sich schon zusammenreißen“, gesteht Kutsch. Mittlerweile schafft er es sonntags in die Frühmesse. „So fängt meine Woche an“, sagt er. Regelmäßig hat er Gespräche mit Geistlichen, ein- bis zweimal im Jahr geht er zur Beichte. „Ich laufe viel ausgeglichener durch die Gegend, seitdem ich gläubig geworden bin“, berichtet er. Und genau das komme bei vielen an, die seinen Weg sonst nicht nachvollziehen können.

„Ich habe mich geoutet“

Sein Sohn reagierte mit Verständnis auf die Entscheidung des Vaters, sich firmen zu lassen: „Papa, wenn das gut für dich ist“, zitiert Kutsch ihn. Am 22. Mai 2014 war es soweit: Jürgen Kutsch empfing im Kornelimünster das Sakrament der Firmung. Die ganze Familie war dabei. Anschließend wurde der runde Geburtstag gefeiert. „Ich habe es hinter mich gebracht und mich geoutet“, sagt der 52-Jährige erleichtert. Wer sich heute für den Glauben entscheide, riskiere ausgelacht zu werden, ist er überzeugt. Aber das finde sich bereits in den Seligpreisungen Jesu – wie es so viele Anknüpfungspunkte zwischen dem Leben und der Bibel gebe. Rückblickend sieht Kutsch in dem Erlebnis auf dem Spaziergang, das für ihn die Umkehr bedeutete, die Zusage Gottes aus dem alttestamentlichen Buch Jesaja:

„Und nun spricht der HERR, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“

Quelle: katholisch.de – Serie: Mein Glaube – von Julia-Maria Lauer